Mittlere Technologien

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Mittlere Technologien sollen die Großtechnologie nicht ersetzen, sondern als parallele Alternative entwickelt werden. Dadurch können die Nachteile der monopolisierten Großtechnologie vermieden werden. Mittlere Technologien sind ein wichtiger Aspekt freier Lebensgrundlagen.

Anspruch an mittlere Technologien

Mittlere Technologien haben den Anspruch, Produkte:

  • Selbständig (oder als Gemeinschaftsprojekt mit wenigen)
  • effizient (kostengünstig bzw. wettbewerbsfähig) und
  • hochwertig (bzw. in gleicher Qualität wie die Großtechnologie)

zu produzieren.

Auch wenn hierbei teilweise Kompromisse gemacht werden müssen (bzw. eine Weiterentwicklung erfolgen muss), sollen mittlere Technologien eine praktische Alternative auf Augenhöhe zum äquivalenten Großtechnologie-Produkt sein.

Definitionen

Der Begriff der mittleren Technologien geht auf E. F. Schumacher zurück. Schumacher beschreibt in seinem Buch "Small is Beautiful, die Rückkehr zum menschlichen Maß" das Konzept der mittleren Technologien.

Definition 1, E.-F. Schumacher [1, Seite 162 f]: Letzten Endes ist die mittlere Technologie arbeitsintensiv und für die Verwendung in kleinen Betrieben günstig. ... Das bedeutet allgemein gesagt, dass ein Mann/Jahr zur Schaffung eines Arbeitsplatzes erforderlich ist oder dass eine Arbeitskraft zwölf Jahre lang ein Monatsgehalt sparen müsste, um einen Arbeitsplatz besitzen zu können.

Definition 2, Aldous Huxley: Gesetzen Fall, es würde zum Ziel von Erfindern und Ingenieuren, gewöhnliche Menschen mit Mitteln zu versehen, „ mit denen sie einträgliche und an sich sinnvolle Arbeit leisten könnten und ihnen dazu verhelfen, Unabhängigkeit von Bonzen zu erlangen, so dass sie ihre eigenen Arbeitgeber werden können, die für den eigenen Unterhalt auf einem lokalen Markt arbeiten, ... dann würde .. dieser anders orientierte technische Fortschritt ... zu einer fortschreitenden Dezentralisierung sowohl der Bevölkerung als auch der Zugänglichkeit an Produktionsmitteln und der politischen und wirtschaftlichen Macht führen.“ Weitere Vorteile wären die „eines menschlich befriedigenderen Lebens für eine größere Zahl von Menschen, eines größeren Maßes an echter selbstverwaltender Demokratie und ein gesegnetes Freisein von der verdummenden oder verderblichen <Fortbildung für Erwachsene>, die von den Massenerzeugern der Verbrauchsgüter auf dem Wege der Reklame angeboten wird. [1, Seite 30]

Definition 3, Gandhi: Hat die Verwendung von mittleren Technologien vorgelebt, indem er selbst gewebte Kleidung trug.

Definition 4: „Mittlere Technologien sind technologische Konzepte die es erlauben, mit kleinen Stückzahlen auch im Rahmen regionaler Wirtschaftskreisläufe ökonomisch sinnvoll zu handeln.“ (Dr. Reinhard Stransfeld)

Definition 5: "Mittlere Technologien sind die Antwort auf folgende Frage: Wie sollen bezahlbare Maschinen, Herstellungsverfahren und Produkte aussehen, die es den Menschen ermöglichen, die Ressourcen ihrer Region in geschlossenen Stoffkreisläufen zu nutzen und selbst eigene Lebensgrundlagen zu erschaffen, um selbst die Dinge herzustellen, die für das tägliche Leben in der Region gebraucht werden?" (Dipl.-Ing. Michel Klotsche)

Diese Frage muss jeder für seinen Berufsstand selbst durch Kreativität und Fachwissen beantworten und wenn er eine Antwort auf diese Frage gefunden hat, dann hat er die Idee für eine weitere mittlere Technologie in die Welt gesetzt.

Missverständnis über mittlere Technologien

Ein häufiges Missverständnis sei an dem hier zitierten Textbeispiel erläutert (Detzer, K.A: Unsere Verantwortung für eine nachhaltige Technik-Gestaltung und –Anwendung, Augsburg 2006, Seite 96):

“Das Konzept empfiehlt allgemein die Entwicklung und Verwendung der .... optimal angepassten Technologie; nach Überzeugung der Vertreter dieser Schule ist dies in den wenigsten Fällen die „Großtechnologie“ der „Großunternehmen“ oder das „High Tech“ der führenden Industrienationen. Die Mittlere Technologie sollte gleichzeitig "menschengemäß, umweltschonend und energie- und rohstoffsparend" sein, eine "dezentralisierte Technik auf Menschenmaß, die zu einem Gleichgewicht zwischen dem Menschen und seiner natürlichen Umgebung führt .... Dieses Prinzip ist sicher erstrebenswert, soweit es nicht zur Ideologie gerät, z.B. wenn Großtechnologien pauschal ohne vorherige Alternativenbewertung bzw. Güterabwägung abgelehnt werden. Solche Pauschalierungen und Ideologisierungen sind schon deswegen unsinnig, weil Groß- und Kleintechnologien bei den heutigen Systemzusammenhängen auch begrifflich nicht mehr eindeutig getrennt werden können. Welche Technologie ist z.B. "größer"? Der Individualverkehr mit Pkw's auf der Straße oder der Schienenverkehr mit IC's und ICE's der Deutschen Bahn AG? Schumacher selbst war übrigens nicht prinzipiell gegen Großtechnologie eingestellt, er wollte nur ihrem Überwiegen entgegentreten.“

An diesem Textbeispiel werden einige Missverständnisse deutlich, was mittlere Technologien nicht sind:

  • Mittlere Technologien sind nicht das Gegenstück zur Großtechnologie.
  • Mittlere Technologien wollen nicht der Großtechnologie entgegentreten.
  • Mittlere Technologien führen nicht zum Gleichgewicht zwischen Mensch und Umwelt.
  • Mittlere Technologien bedeuten nicht "zurück in die Höhle".

Mittlere Technologien bedeuten aber die Erschaffung eigener Lebensgrundlagen, nicht mehr und nicht weniger.

Herausforderung an mittlere Technologien

  • Mittlere Technologien sollen gleichzeitig so gestaltet sein, dass sie dem heutigen Stand der Technik entsprechen.
  • Die technische Herausforderung liegt hierbei darin, das technische Know-How, das in der industriellen Massenproduktion Stand der Technik ist, sinnvoll auf die Herstellung von Produkten in kleiner Stückzahl zu übertragen.
  • Viele Rohstoffe sind in der Natur nicht in jeder Region vorhanden. Recycling ist oft die einzige Lösung. Dies ist allerdings auch ein langfristiger Vorteil. An Gebrauch statt Verbrauch von Ressourcen kommen wir sowieso nicht vorbei, wenn wir unseren Standard halten wollen.
  • Damit ist für regionales Wirtschaften mit mittleren Technologien ein Umdenken notwendig: Es gibt keine Abfallstoffe! Es gibt lediglich Produkte, und Nebenprodukte.
  • Mittlere Technologien sind Individuell (keine DIN-Norm) und nutzen die Bedingungen vor Ort (Ausbildung, Kultur, Menschen, Finanzen, Rohstoffe, Energie, Transport, Bauteile, Brennstoffe). Für die Anpassung ist Einfühlungsvermögen und Kreativität gefragt.
  • Es gibt im Bereich der mittleren Technologien noch sehr viel Entwicklungsarbeit zu leisten. Forschung und Entwicklung können hier durch Selbstfinanzierung realisiert werden.

Unterstützung wirtschaftlicher Unabhängigkeit und Demokratie

Mittlere Technologien ermöglichen es dem Anwender, selbst eigene Lebensgrundlagen zu erschaffen. Mittlere Technologien geben ihren Anwendern auf diese Weise ein Stückchen wirtschaftliche Unabhängigkeit und somit auch ein kleines Stückchen politische Macht zurück:

  • Wer seine Maschinen und die Güter die er braucht inklusive deren Herstellungsverfahren selbst bezahlen kann, der ist nicht abhängig von Geldgebern oder staatlichen Zuschüssen.
  • Wer die nötigen Güter des Lebens selbst bezahlen kann, der kann auch darüber entscheiden, wie diese Güter hergestellt werden und von wem und was mit diesen Gütern gemacht wird.
  • Auf diese Weise fördern mittlere Technologien die Demokratie in einem Land, indem sie wirtschaftliche Macht in viele Hände verteilen.
  • Mittlere Technologien geben den Menschen die Möglichkeit, ihre unmittelbare Umgebung wieder aktiv zu gestalten.

Diese größere Unabhängigkeit kann auf verschiedenen Ebenen zurückgewonnen werden:

  • Auf der persönlichen/familiären Ebene z.B. mit u.g. Beispielen wie Hofmolkerei, RepRap und LifeTrac
  • Auf einer höheren Gemeinde-Ebene oder Gemeinde-Verbund-Ebene können mittlere Technologien verwendet werden um der Abhängigkeit noch größerer Einheiten zu entkommen. Z.B. wäre dies die Energieversorgung. Diese sollte in Neuland dezentral und unabhängig organisiert sein (s. Neuland-Energie).

Beispiele mit Gegenüberstellung

Hier ein paar Beispiele, wie durch mittlere Technologien größere Unabhängigkeit aufgrund der Schaffung eigener Lebensgrundlagen entsteht. Diese jeweils im Vergleich zur alternativen Hochtechnologie:

Biomeiler vs. Biogasanlage

Biomeiler

  • Mittels eines Biomeilers kann ein Landwirt oder sonstiger Biomasse-Produzent (z.B. Waldbesitzer) durch Kompostierung Energie gewinnen.
  • Dazu werden mehrere Tonnen Biomasse auf einen Haufen geschüttet und darin über Schläuche Wasser geleitet. Der Biomeiler enthält den Gärbehälter bzw. gärbereiche als wesentliche Komponenten einer Biogasanlage
  • Der Biomeiler kann überall dort gefertigt werden, wo Biomasse vorhanden ist.
  • Nutzen:
    • Das Wasser wird durch den Zersetzungsprozess erwärmt und kann zum heizen verwendet werden.
    • Außerdem wird Methan frei, welches aufgefangen und z.B. zum kochen oder weiterer Energiegewinnung verwendet werden kann.
    • Nach mehreren Jahren bleibt nur noch Humus übrig.
  • Die Technik ist einfach und ohne Kredit bezahlbar. Sie kann von jedem Landwirt selbst dezentral umgesetzt werden.
  • Der Biomeiler erfordert aber umfangreiches Fachwissen in Chemie, Biochemie, Thermodynamik und Heizungsbau. Schließlich müssen am Ende auch die Dimensionen stimmen (nicht zu viel oder zu wenig Wärme). Der Landwirt zieht also am besten noch einen Ingenieur oder Biomeiler-Know-How-Träger hinzu.
  • Weitere Infos dazu: Biomeiler

Biogasanlage

  • Das Altland-Gegenstück zum Biomeiler (mittlere Technologie) ist eine Großtechnlogie-Biogasanlage.
  • Die großen Anlagen müssen über Kredite finanziert werden.
  • Die Fertigung in der Region oder gar Lokal beim Landwirt ist nicht wirtschaftlich.
  • siehe Planet-Biogas

Inga-Fertiger vs. Groß-Molkerei

Inga-Fertiger

  • Mit dem Inga-Fertiger kann im eigenen Haushalt Butter, Quark, Käse und Naturjoghurt hergestellt werden.
  • Damit kann ein Landwirt unabhängiger von der Groß-Molkerei werden, welche ihm die Preise aufgrund er Monopolstellung vorschreibt.
  • Ermöglicht dem Milcherzeuger nicht nur eine vollständige Selbstversorgung mit Milchprodukten, sondern auch eine Produktion für den Markt, besonders in Form des ab-Hof-Verkaufs.
  • Die Wertschöpfung bleibt dann bei ihm und fließt nicht aus der Region ab.
  • Investitionskosten liegen bei ca. 2.000 € inkl. MwSt. Eine Molkerei kostet im Gegensatz dazu mehrere Millionen.
  • Mehr dazu: Hofmolkerei

Groß-Molkerie

  • Im Gegensatz zum Inga-Fertiger treten die Milcherzeuger bei Abgabe in der Molkerei ein Abhängigkeitsverhältnis ein.
  • Durch die hohen Investitionskosten (mehrere Millionen), geht ein Großteil des Ertrages in die Bedienung der Kapitalkosten
  • Die Wertschöpfung wird zentralisiert und fließt aus der Region ab.
  • Beispiel: Die Molkerei in Leppersdorf, Sachsen kostete ca. 300 Mio. €. Der Eigentümer ist Müller-Milch und steht immer wieder in der Kritik (s.Wikipedia: Müller Milch

Obsttrockner vs. Industrie-Trocknungsanlage

Obsttrockner

  • Ein Obsttrockner für einen Gartenbesitzer kann als mittlere Technologie vom Gartenbesitzer selbst gebaut oder an einen Handwerker in Auftrag gegeben werden.
  • Materialien dazu sind überall erhältlich (Holz, Plexiglas, schwarzer Filz...)
  • Die Technik ist einfach und die Fertigung in der Region lohnt sich.
  • Die Auslegung erfordert Wissen in Lebensmittelchemie, Biologie und Thermodynamik. Die Sonne scheint nicht immer, das Obst muss trotzdem trocknen!

Industrielle Trocknungsanlage

  • Industrielle Anlagen benötigen höhere Investitionen.
  • Die Fertigung in der Region lohnt sich wegen geringer Stückzahlen meist nicht
  • Beispiel: Firma Agratechniek, Niederlande

Weitere Beispiele

Weitere Beispiele für mittlere Technologien sind:

  • Der weltweit einsetzbare Solarkocher
  • Stroh als Baustoff, da in der Region vorhanden. Häuser aus Stroh: Strohpolis

Freie Technologien

  • Mittlere Technologien verringern die Abhängigkeit von "großer", monopolisierter Hochtechnologie.
  • Mittlere Technologien sind allerdings nicht automatisch auch "freie" Technologien. Z.B. kann eine sinnvolle mittlere Technologie wie der Inga-Fertiger (s.o.) privat patentiert sein und somit bin ich zwar ein gutes Stück freier geworden, aber trotzdem noch abhängig vom Hersteller des Inga-Fertigers (evtl. auch mit Ersatzteilen usw.).
  • Eine absolute Unabhängigkeit erhält man nur durch freie Technologien. Diese sind somit eine Weiterentwicklung oder Ergänzung zu mittleren Technologien.

Mehr dazu: Freie Technologien


Technik-Kampagne

  • Eine weitere Lösung neben "mittleren Technologien" für die Probleme der Großtechnologie besteht darin, neue Technologien in Form von einmaligen Kampagnen zu realisieren. Dabei können für die Organisation die Konzepte Peer-Management und Peer-Prozessorganisation angewendet werden.
  • Dabei bringt jedes beteiligte Unternehmen die Ressourcen in die Kampagne ein, die dem Unternehmen in der alltäglichen Produktion zu Verfügung stehen.
  • Auf diese Weise können die Ressourcen von sehr vielen kleinen Unternehmen gebündelt genutzt werden.
  • Bekannt ist diese Vorgehensweise vom Hausbau, bei dem der Architekt der Anschieber des Bauprojekts ist, der eine Vielzahl von spezialisierten Unternehmen koordiniert.

Quellen & Links

  • Literatur: Schumacher, E. F.: Small is Beautiful - Die Rückkehr zum Menschlichen Maß. Stiftung Ökologie & Landbau. Bad Dürckheum, 2001