Liquid Democracy
Inhaltsverzeichnis
Warum Liquid Democracy?
- Mit Liquid Democracy (LD) werden die Vorteile von indirekter Demokratie mit den Vorteilen von direkter Demokratie kombiniert. Dabei werden die jeweiligen Nachteile ausgeschlossen. Während bei indirekter Demokratie ein Delegierter zur Vertretung der eigenen Interessen bestimmt wird und bei direkter Demokratie alle Interessen selbst wahrgenommen werden müssen, ergibt sich bei Liquid Democracy ein fließender Übergang zwischen direkter und indirekter Demokratie.
- Außerdem wird die Erschließung des KnowHows aller ermöglicht. Damit werden Entscheidungen nicht durch die Intelligenz weniger Regierenden begrenzt, sondern es kann das vielfach höhere Gesamt-Wissen der Gesellschaft (oder einer Organisation) erschlossen und genutzt werden.
Somit können optimale Ergebnisse für die Gruppe (Organisation oder auch Staat) erzielt werden. Eigennützige Entscheidungen zu Lasten anderer werden dagegen ausgeschlossen.
Damit stellt LD ein mögliches, effizientes Werkzeug dar für die Umsetzung von:
- Peer-Prozessorganisation um strukturelle Ineffizienz auszuschließen
- Peer-Management um strukturelle Verantwortungslosigkeit auszuschließen
Nachteile indirekter Demokratie
- Kompetenz: Abgeordnete & Entscheider können nicht überall kompetent sein und treffen teils gravierende Fehlentscheidungen (s.strukturelle Ineffizienz).
- Lobbyismus: Eine kleine Gruppe von Entscheidern kann durch Lobbyismus einfacher beeinflusst werden als die Mehrheit des Volkes. Darum kommt es immer wieder zu Entscheidungen, welche für die Gesellschaft nachteilig ist und nur im Interesse weniger. Teilweise sitzen die Lobbyisten sogar direkt in der Politik und auch die Gesetze werden wörtlich von der Lobbyorganisation diktiert (s.Lobbyismus).
- Es besteht ein Fraktionszwang. Dadurch werden oft einfach aufgrund von Oppositions-Spielchen gute Entscheidungen verhindert oder verwässert.
- Zeitmangel: Politiker müssen über so viele Gesetze und Entscheidungen mitbestimmen, dass meist keine Zeit besteht sich tatsächlich in das Thema reinzuarbeiten. Oft werden dann sogar Gesetzestexte einfach unterschrieben ohne sie überhaupt gelesen zu haben.
- Machtkonzentration: Durch indirekte Demokratie geben die Bürger ihre Macht ab und übertragen sie an wenige Regierende. Es ist dann ein ganz natürlicher Vorgang, das diese Machtinhaber versuchen ihre Macht Stück für Stück weiter auszubauen um größtenteils "alleine regieren" zu können. Zum Ausbau ihrer eigenen Macht nutzen sie die ihnen schon erteilte Macht. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann diese "Volksvertretung" relativ abgehoben von den Bürgern ist und die Bürger eher als störend bei den wichtigen Entscheidungen empfindet. In Deutschland ist dieser Prozess seit dem Weltkrieg schon sehr weit fortgeschritten und die Bürger fühlen sich immer weniger beteiligt (bzw. können sowieso kaum "mitreden"). Dies zeigt sich zum einen an der geringen Wahlbeteiligung und zum anderen an den immer frecheren, verantwortungslosen Entscheidungen.
- Oligarchiebildung: Führungsgruppen in Organisationen sind zunehmend an eigenen Interessen & persönlichem Nutzen (insbesondere sichergestellt durch den Erhalt der Organisation) interessiert. Die einstigen Ziele der Gruppe, an deren Spitze sie stehen, treten so in den Hintergrund. Führungsgruppen versuchen demnach, die soziale Basis zu lenken. Dies selbst dann, wenn die herrschende Ideologie dieser Gruppierungen das Gegenteil anstrebt. Mehr dazu: Ehernes Gesetz der Oligarchie.
Nachteile direkter Demokratie
- Kompetenz: Nicht jeder ist in allen Themen kompetent. Wenn aber nun jeder abstimmen soll, kann dies zu falschen Entscheidungen führen.
- Beeinflussung: In den Themen, in denen der Einzelne nicht kompetent ist, kann er schnell Opfer von Stimmungsmacher („Bauernfänger“) werden und dann falsch entscheiden.
- Motivation: Wenn jeder überall mitbestimmen darf und sollte, wäre dies zu viel für den Einzelnen. Das allermeiste wird den Einzelnen einfach nicht interessieren. Die Bürger würden sich somit in den allermeisten Fragen auch nicht beteiligen. Eine Minderheit, die dann noch zum Abstimmen geht, kann somit Entscheidungen durchsetzen, welche negativ für die Gesellschaft (nur zum eigenen Nutzen) sind.
Vorteile von Liquid Democracy
Die Technologie der Internet-Ära ist in der Lage viele Begrenzungen unserer althergebrachten Demokratie aufzulösen, zu "verflüssigen":
Keine zeitliche Begrenzung
Mittels LD wird die zeitliche Begrenzung (z.B. nur einmalige Wahlmöglichkeit alle 4 Jahre) aufgehoben. Z.B. sind folgende Abtimmungsformen möglich:
- Abstimmung Open-End (permanent, ohne Ende)
- Abstimmung mit Deadline (permanent bis zum Stichtag)
- Abstimmung mit Quorum (permanent bis zum Erreichen einer bestimmten Zustimmung)
Keine inhaltliche Begrenzung
Die Begrenzung, das nur aus einer begrenzten Auswahl weniger Parteien eine ausgewählt werden darf, und diese dann in allen Punkten für mich entscheidet, wird aufgehoben:
- Es kann nach Belieben über einzelne Gesetze selbst abgestimmt (direkte Demokratie) oder in Bezug auf andere Gesetze (oder Bündel von Gesetzen) die eigene Stimme an jemand anderen (z.B. eine Partei oder auch eine Person) delegiert (repräsentative Demokratie) werden. Die Delegation ist jederzeit rückziehbar bzw. veränderbar.
Keine partizipatorische Begrenzung
Derzeit werden die Inhalte der Abstimmung (z.B. Gesetze) von den Regierenden selbst bestimmt. Der Bürger kann sich hierbei praktisch weder beteiligen noch Verbesserungen einbringen. Mit LD wird diese Begrenzung aufgehoben:
- Jeder kann an jedem Gesetzestext (oder anderen zu entscheidenden Sachverhalten, z.B. Umbau des Bahnhofs in Stuttgart) mitarbeiten.
- In der Praxis ist dies ein gemeinschaftliches Schreiben (Wikipedia-Prinzip) kombiniert mit Stimmengewichtung.
- Jeder kann dabei gute Ideen einbringen und um Stimmen werben. Z.B. kann jemand einen guten, aber nicht optimalen Vorschlag "forken" (verbessern und dazu einen "Abzweig" zum Originalvorschlag anlegen).
Kein Wahlzwang, kein Stimmverlust
- Jeder Teilnehmer kann selbst entscheiden, wie weit er seine eigenen Interessen wahrnehmen will, oder wie weit er von anderen vertreten werden möchte (seine Stimme an andere abgeben).
- Es handelt sich also um eine Art "flüssige Demokratie", bei der jeder selbst entscheiden kann wieviel er sich zutraut (oder seine Zeit zuläßt) mitzuentscheiden.
- Wer sich selbst mit den Themen nicht befassen möchte (oder kann), wird seine Stimme vermutlich an einen persönlich bekannten (kompetenten & vertrauensvollen) Menschen geben. Damit geht seine Stimme nicht verloren und wird relativ nahe seiner Interessen verwendet.
Kompetentere Entscheidungen
- Im Extremfall kann der Bürger komplett wie heute wählen gehen: Er gibt aller 4 Jahre seine kompletten Mitspracherechte an eine Partei ab. Dies wird allerdings genauso wenig passieren, wie der entgegengesetzte Fall, dass jemand über alles selbst mit abstimmt.
- Die Regel wird sein, dass man seine Stimmen für die verschiedenen Bündel auf kompetente Vertrauenspersonen (oder Institutionen wie z.B. Greenpeace) verteilt. Diese "Vertrauten" werden die Stimmen zum Großteil ebenso wieder an von ihnen als kompetenter & vertrauensvoll erkannte Personen weitergeben.
- Insbesondere kann der Delegat jederzeit sein dem Delegierten übertragenes Stimmrecht zurückfordern (z.B. falls das Vertrauen und die Macht durch die gesammelten Stimmen ausgenutzt wird), und muss hierzu nicht bis zu einer neuen Wahlperiode warten.
-> Die Stimmen zu den einzelnen Fragen/Sachverhalten sammeln sich somit automatisch bei den für diese Frage/Sachverhalt kompetentesten und vertrauensvollsten Personen bzw. Institutionen. -> Dadurch lässt sich das beste KnowHow erschliessen, die Qualität der Entscheidungen wird verbessert. Außerdem wird die Beeinflussung durch Lobbyismus oder Bauernfänger ausgeschlossen (bzw. auf ein kleines, vertretbares Maß reduziert).
Werkzeuge
Für die praktische Umsetzung von Liquid Democracy gibt es bereits Software zur freien Anwendung. Z.B:
- adhocracy.de vom Liquid Democracy e.V.: In "Adhocracy" können Organisationen wie NGOs, Netzinitiativen oder Firmen durch einen demokratischen Prozess ihre Ziele, Strategien, interne Regeln oder Positionen entwickeln. Adhocracy wurde im Januar 2012 vom Linux-Magazin als Testsieger von 4 Liquid Democracy-Tools gewählt (s.Testsieger)
- LiquidFeedback vom Interaktive Demokratie e.V.: freie Software zur politischen Meinungsbildung und Entscheidungsfindung.
- Liquidizer: Plattform die Stimmungen und Meinungsbilder in Echtzeit erfassen kann.
- Votorola: freie Software zur Realisierung von Abstimmungen/Wahlen sowie zur Strukturierung des politischen Diskurses in beliebiger Größenordnung (lokal, national, global). Anfang 2012 noch in der Entstehungsphase.
Quellen & Links
- Der Liquid Democracy e.V. setzt sich für solch eine Art der Demokratie ein.
- Die Piratenpartei setzt sich für LD ein und praktiziert diese mit der der Software LiquidFeedback.