Lebensgrundlage Atmosphäre

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Ein Auszug eines Artikels von Jörg Haas und Peter Barnes aus Wem gehört die Welt. Dabei geht es um die Privatisierung unserer Lebensgrundlage Atmosphäre durch den derzeitigen (Stand 2011) CO2-Emissionszertifikatehandel (ETS) sowie um eine gerechtere Alternative als Gemeingut:

Privatisierung unserer Atmosphäre[Bearbeiten]

Geld für die größten Verschmutzer[Bearbeiten]

Eine britische Studie brachte zutage, dass die Stromunternehmen in Großbritannien im Jahr 2005 durch Emissionszertifikate, die sie unentgeltlich von der britischen Regierung zugeteilt bekommen hatten, 1,5 Milliarden Dollar einnehmen konnten. Ein WWF-Papier veranschlagt die Mitnahmegewinne, die die fünf größten deutschen Stromerzeuger während der achtjährigen Laufzeit des derzeitigen europäischen Emissionshandelssystems (ETS, 2005 bis 2012) durch ihre inländische Geschäftstätigkeit erzielen werden, auf einen Betrag zwischen 31 und 64 Milliarden Euro.

Das System des Handels: Geschenke an die Verschmutzer[Bearbeiten]

Was passiert hier? Eine zuvor kostenfreie Aktivität – nämlich der Ausstoß von CO2 in die Atmosphäre – wird nun erlaubnispflichtig. Diese Erlaubnis ist handelbar, denn dadurch – so die Theorie – wird das CO2 an den Stellen eingespart, wo dies zu den geringsten Kosten möglich ist. Daher bekommt diese Erlaubnis nun einen Marktpreis, so dass manche Leute anderen Leuten (meist Unternehmen) für sogenannte Emissionsrechte Geld bezahlen.

Bei dem bezahlten bzw. erhaltenen Geld handelt es sich um eine Knappheitsrente, die im Laufe der kommenden Jahrzehnte Mitnahmegewinne in Billionenhöhe hervorbringen wird. Die Frage ist: Wer sollte diesen leistungslosen-Profit erhalten?

Aufgrund der derzeitigen Struktur des ETS haben die Unternehmen, die schon in der Vergangenheit die Luft verschmutzten, ihre Emissionsrechte bekommen, ohne einen Cent dafür bezahlen zu müssen. In gewisser Weise haben sie damit – ohne jegliche Gegenleistung – einen Besitztitel auf die Nutzung der Atmosphäre erhalten. Nur sie kassieren die Knappheitsrente, die alle anderen indirekt bezahlen. Am Beispiel des deutschen Strommarkts lässt sich das gut illustrieren. Die Strompreise sind nach Einführung des ETS (2005) in ganz Europa gestiegen. Das hat unter den Industriekunden der Stromversorger Empörung ausgelöst. Selbst das Bundeskartellamt hat das Stromversorgungsunternehmen RWE wegen missbräuchlicher Preiserhöhungen nach Einführung des ETS abgemahnt.

Vorwurf an Verschmutzer oder Politik?[Bearbeiten]

Theoretisch kann man den Stromversorgern keinen Vorwurf machen. Es ist normale betriebswirtschaftliche Praxis, die Kosten der Emissionsrechte in den Strompreis einzupreisen, selbst wenn die Versorgungsunternehmen die Zertifikate unentgeltlich bekommen. Diese Praxis erklärt sich aus der betriebswirtschaftlichen Logik der Stromversorger: Da man die Emissionsrechte auch verkaufen könnte, statt sie zur Stromproduktion zu nutzen, hat der Preis jeder verkauften Kilowattstunde Strom nicht nur die Kosten der Stromproduktion abzudecken, sondern auch die Kosten der Nutzung der entsprechenden Emissionsrechte. Den Stromversorgern entstehen also sogenannte Opportunitätskosten, wenn sie die Emissionszertifikate zur Stromproduktion nutzen, und diese Kosten spiegeln sich im Strompreis wider. Da der Emissionshandel nicht zuletzt dazu dienen soll, externe Kosten zu internalisieren, ist es sogar sinnvoll und notwendig, dass sich diese neuen Kosten in den Strompreisen niederschlagen.

Der Vorwurf gebührt vielmehr den europäischen Gesetzgebern, die in den Zuteilungsregeln des ETS festgelegt haben, dass die EU-Mitgliedsstaaten in der ersten Phase (2005 bis 2007) nur 5 Prozent und in der zweiten Phase (2008 bis 2012) nur 10 Prozent der Emissionszertifikate versteigern können. Der Rest muss unentgeltlich an die Luftverschmutzer abgegeben werden.

Allerdings ist es auch nicht so einfach. Denn die 4 Energiegiganten (RWE, E.on, Vattenfall & EnBW) haben durch ihre Lobbyarbeit und Druck auf die Politik die Gesetze selbst bestimmt. Diese Lobbyarbeit wird im Dokumentarfilm Das Energiekartell, 50min) gezeigt.

Warum Privatisierung?[Bearbeiten]

Bisher schreibt die Richtlinie des ETS vor, dass private Unternehmen die Emissionsrechte – zumindest größtenteils – unentgeltlich erhalten. Das Standardargument für die Überlassung von Gemeinschaftsgütern wie Land, Bodenschätze oder Sendefrequenzen an Privatunternehmen lautet, dass diese im Tausch dafür einen Wert für die Allgemeinheit schaffen. Sie bauen Bahnlinien, fördern wertvolle Metalle oder übertragen Fernsehbilder. Die Bürgerinnen und Bürger bekommen also, so die Argumentation, für ihre Großzügigkeit etwas zurück, so dass zumindest die Möglichkeit eines »fairen Geschäfts« existiert. Für das Geschenk der CO2-Aufnahmekapazität erhält die Öffentlichkeit jedoch nichts zurück. Allenfalls die Zustimmung der Unternehmen zur Einführung des Emissionshandels lässt sich möglicherweise dafür einhandeln. Tatsächlich ist derlei »Realpolitik« wohl noch das ernsthafteste Argument für die kostenfreie Überlassung der Emissionsrechte. Ethisch ist sie dennoch nicht zu rechtfertigen. Das andere Argument, mit dem üblicherweise für ein Besitzrecht der Konzerne an der Nutzung der Atmosphäre plädiert wird, ist die Sorge um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie. Im Großen und Ganzen hält diese Sorge wissenschaftlicher Prüfung nicht stand, wie ausführliche Studien gezeigt haben.

Fazit derzeitige Praxis[Bearbeiten]

Da stehen wir nun und sehen dabei zu, wie die Luft, die wir atmen und die wir mit Pflanzen und anderen Lebensformen auf dieser Erde teilen, denen zugesprochen wird, die die Atmosphäre verschmutzt haben. Und in der Tat, das Umweltprinzip: »Der Verschmutzer zahlt«, wurde auf den Kopf gestellt. Jetzt heißt es: »Der Verschmutzer wird bezahlt.« Und wenn wir uns anschauen, wie viel Geld mit dieser falschen Zuweisung von Eigentumsrechten generiert wird, so sind das Milliarden von Dollar. Und sie verschmutzen weiter... ...und es wird nicht nur weiter verschmutzt, sondern sogar mehr als vorher. Denn die großen Energiekonzerne haben aufgrund der Klimazertifikate zusätzliche Kohlemeiler gebaut um zusätzliche Zertifikate geschenkt zu bekommen! Siehe dazu auch den Film: Das Energiekartell, 50min

Wem gehört der Vermögenswert?[Bearbeiten]

Zum genaueren Verständnis ist es sinnvoll, die Frage, wem die Emissionsrechte eigentlich zustehen, zu vertiefen. Indem das ETS Knappheit bei den Emissionsrechten erzeugt, schafft es einen Vermögenswert, der irgendjemandem gehört. Im Prinzip gibt es drei mögliche Besitzer:

  • private Unternehmen (bisherige, nicht sinnvolle Regelung (s.o.)),
  • den Staat (entweder die einzelnen Mitgliedsstaaten oder die EU) und
  • die Bürgerinnen und Bürger, deren Interessen von einer Treuhandgesellschaft wahrgenommen werden können (Umwelt- & Gesellschafts-Nützlichste Variante (s.u.)).

Alternativen[Bearbeiten]

Der Staat als Eigentümer[Bearbeiten]

Die zweite Option für das Besitzrecht an den Emissionsrechten ist der Staat. Zweifellos spricht mehr für ihn als für die Verschmutzer. Der Staat ist – zumindest idealerweise – der Sachwalter des Gemeinwohls. Allerdings kann man nicht davon ausgehen, dass der Staat sämtliche aus der Versteigerung von CO2-Emissionszertifikaten erzielten Einkünfte sinnvoll investieren würde. Daher spricht viel dafür, zumindest einen Teil dieser Einkünfte direkt an die Bürgerinnen und Bürger zurückzuleiten.

Atmosphäre als Gemeingut[Bearbeiten]

Wir schlagen nun vor, das EU-Emissionshandelssystem für die nächste Phase – ab 2012 – prinzipiell umzugestalten. Und zwar nach folgenden Grundsätzen:

  • Die Atmosphäre, die derzeit als Speicher für Emissionen genutzt wird, ist das gemeinsame Erbe aller Menschen, nicht einer Handvoll Konzerne.
  • Damit stehen auch die Emissionsrechte im Grundsatz den Bürgerinnen und Bürgern zu, nicht den Unternehmen.
  • In anderen Worten: Die Knappheitsrente sollte nicht als privater Profit an die Umweltverschmutzer gehen, sondern der Allgemeinheit zugute kommen.
  • Die Umweltverschmutzer sollten die Emissionsrechte in einem transparenten, neutralen Prozess erwerben anstatt durch Lobbying.

Unser Vorschlag baut auf dem Sky-Trust-Modell von Peter Barnes auf. Im Rahmen der Übertragung dieses Modells auf die EU werden wir einige Veränderungen gegenüber dem ursprünglichen System erörtern, die teils durch die anders gearteten politischen Verhältnisse in der EU, teils durch die pragmatische Übernahme bereits vorhandener Elemente begründet sind.

Die Grundidee des Sky Trust ist einfach: Eine unabhängige Treuhandgesellschaft

  • verwaltet die Emissionszertifikate des ETS,
  • versteigert sie unter den emittierenden Unternehmen und
  • leitet die Einkünfte wieder an die eigentlichen Besitzer der Emissionsrechte, die Bürgerinnen und Bürger, zurück.

Warum Gemeingut?[Bearbeiten]

Die Begründung ruht auf drei Säulen:

  • Die erste ist philosophisch-rechtlicher Natur und wurde bereits erwähnt: Da die Atmosphäre ererbt, nicht gemacht ist, ist sie ein natürliches Gemeingut und gehört allen gleichermaßen.
  • Der zweite ist ökonomischer Natur: Wenn der CO2-Ausstoß durch eine Obergrenze beschränkt wird, müssen die Bürgerinnen und Bürger höhere Preise für die Verbrennung fossiler Energieträger und davon abgeleitete Produkte (z.B. Strom) zahlen. Damit ihre Kaufkraft erhalten bleibt, sollte ihnen ein Teil des Geldes, das sie zusätzlich bezahlen müssen, wieder zurückerstattet werden. Geschieht das auf einer Pro-Kopf-Basis statt proportional zum Energieverbrauch, entstehen die notwendigen Anreize zum Energiesparen. Wer einen Geländewagen fährt, wird mehr bezahlen, als er zurückbekommt. Wer Rad fährt, wird mehr zurückbekommen, als er zahlt. CO2-Sparer werden belohnt, CO2-Verschwender müssen bezahlen.
  • Die dritte Säule schließlich ist politischer Natur: Ein System der Emissions-Obergrenzen und des Emissionshandels muss mehrere Jahrzehnte in Kraft sein, bis Europa seinen CO2-Ausstoß um etwa achtzig Prozent gegenüber 1990 gesenkt hat. Damit dieses System Bestand hat, braucht es politischen Rückhalt. Umweltverschmutzern Mitnahmegewinne zu ermöglichen, schafft keinen dauerhaften politischen Rückhalt. Dividenden an die Bürgerinnen und Bürger auszuzahlen dagegen schon. In dem Maße, wie die Energiepreise steigen, werden auch die Dividenden für alle steigen. Wer am meisten Energie spart, wird am besten dastehen, und alle werden die Transparenz und Fairness des Systems zu schätzen wissen.

Im Zusammenhang mit der Frage des Nutzungsrechts an der Atmosphäre gilt es noch einen weiteren Faktor zu berücksichtigen: Die Atmosphäre ist nicht nur ein europäisches, sondern ein globales Gemeingut. Alle Bürgerinnen und Bürger dieser Welt können den gleichen Anteil an globalen Emissionsrechten beanspruchen. Daher kann man argumentieren, dass die Emissionsrechte des ETS nicht allein den EU-Bürgern gehören. Eine simple Rechnung belegt das:

Jedes Emissionshandelssystem beginnt damit, dass es Zertifikate für die tatsächlichen Emissionen in bestimmten Sektoren vergibt. Diese werden dann im Laufe der Jahre reduziert. Die EU 277 war 2002 für 16,3 Prozent des globalen CO2-Ausstoßes verantwortlich, hat jedoch nur einen Anteil von 7,8 Prozent der Weltbevölkerung. Daraus wird ersichtlich, dass die EU den ihr zustehenden ökologischen Raum übernutzt. Würden alle globalen Emissionen in Zertifikate verwandelt, dann stünde der EU nur ein Anteil von 7,8 Prozent zu, was 47,9 Prozent ihrer derzeitigen Emissionen abdecken würde. Dementsprechend sollten nur rund die Hälfte der Emissionsrechte des ETS den Bürgerinnen und Bürgern der EU gehören, die andere Hälfte hingegen den Bürgerinnen und Bürgern von Ländern – zumeist Entwicklungsländern –, deren CO2-Ausstoß unter dem globalen Durchschnitt liegt. Entsprechend sollte auch der Sky Trust nur die Hälfte seiner Einkünfte aus Versteigerungen an die Bürgerinnen und Bürger der EU weiterleiten. Der Rest sollte den Menschen in Ländern mit unterdurchschnittlichem CO2-Ausstoß zugute kommen.

Notwendige Institution[Bearbeiten]

Der Schutz des Besitzrechts der Bürgerinnen und Bürger bedarf geeigneter Verfahren und Institutionen. Wie also sollte ein EU-Sky-Trust institutionalisiert werden? Unser Vorschlag zielt auf die Etablierung einer unabhängigen, transparenten und rechenschaftspflichtigen Körperschaft – vergleichbar etwa der Europäischen Zentralbank. Aufgabe dieser Körperschaft wäre, die Emissionsrechte und die daraus erwachsenden Einkünfte im Interesse aller Besitzerinnen und Besitzer zu verwalten, sowohl der gegenwärtigen wie auch der künftigen Generationen.

Die Treuhänder müssten in einem Verfahren ausgewählt werden, das ihre Kompetenz, ihre Unabhängigkeit von Lobby-Interessen und ihre Integrität gewährleistet. Als Vorbild könnte hier die Ernennung von Verfassungsrichtern oder Zentralbankchefs dienen.

Um der Miteigentümerschaft der Bürgerinnen und Bürger außerhalb der EU gerecht zu werden, müssten auch entsprechend integre und kompetente Persönlichkeiten aus Entwicklungsländern im EU-Sky-Trust vertreten sein. Die Entscheidung über die Anzahl der Emissionszertifikate überlässt das ETS bisher im Rahmen der Nationalen Allokationspläne, die allerdings von der EU-Kommission gebilligt werden müssen, den einzelnen Regierungen. Da die Emissionszertifikate Geld wert sind, kommt dies einer Lizenz zum Gelddrucken gleich. Das hat in der ersten Phase zu einer rasanten Abnahme der ökologischen Ambitionen sowie zu einer beträchtlichen Überallokation geführt, in deren Folge die Zertifikatspreise sanken. Seit Einführung des Euro obliegt die Entscheidung über die Geldmenge in der Eurozone nicht mehr den einzelnen Mitgliedsstaaten, sondern einer zentralen, unabhängigen Institution. In ähnlicher Weise sollte über die Anzahl der zu verteilenden Emissionsrechte ein europäischer Sky Trust, der dem Schutz der Atmosphäre und damit des Gemeinwohls verpflichtet ist, unter der Leitung eines unabhängigen Vorstands entscheiden.

Fazit[Bearbeiten]

Es wäre so tragisch wie absurd, wenn die »Lösung« des Problems Klimawandel weiterhin mit einem beträchtlichen Vermögenstransfer an die Umweltverschmutzer einherginge, die das Problem zu einem großen Teil selbst verursacht haben. Das ist, als belohne man Tabakkonzerne mit Milliardensummen für die zahlreichen Lungenkrebsfälle, die sie mit zu verantworten haben. Die derzeitige Praxis spricht nicht nur jeglichem Kriterium der Umweltgerechtigkeit Hohn, sie sendet auch die falschen Signale an die Finanzmärkte: In dem Maße, wie Mitnahmegewinne die Profite von CO2-Emittenten aufblähen, werden die Finanzmärkte statt in saubere Energiequellen in Unternehmen investieren, die die Umwelt verschmutzen. Genau das Gegenteil dessen also, was zur Bekämpfung des Klimawandels notwendig ist.

Die bevorstehende Revision des EU-Emissionshandelssystems stellt eine einmalige Gelegenheit dar, einige der grundlegenden Defizite dieses zentralen Klimaschutzinstruments zu beseitigen. Das Modell eines allein dem Schutz der Atmosphäre verpflichteten Sky Trusts, der die Besitzrechte aller Bürgerinnen und Bürger an diesem Gemeingut transparent verwaltet, kann dabei als Leitbild für eine grundsätzliche Reform des Europäischen Emissionshandelssystems dienen.

Aktueller Nachtrag[Bearbeiten]

(2010)

Inzwischen hat die EU-Kommission einen Vorschlag zur Reform des Emissionshandels vorgelegt, der für den Stromsektor eine vollständige Versteigerung der Emissionsrechte vorsieht. Das EU-Parlament hat dem bereits zugestimmt, aber einige europäische Regierungen sträuben sich noch. Außerhalb des Stromsektors ist die Versteigerung noch stärker umstritten und soll auch nur graduell umgesetzt werden. Die Einnahmen aus der Versteigerung fallen erst einmal den Finanzministern zu. In Deutschland werden sie zu erheblichen Anteilen für Klimaschutzprojekte in Entwicklungsländern verwendet. Ein sinnvoller Ansatz, der zumindest im Geiste der obengenannten Sky-Trust-Idee entspricht.