Gelebte Vielfalt

Aus Nuevalandia
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Ein Teil eines Artikel von Gregor Kaiser aus Wem gehört die Welt:

Die Frage, wie die Pflanzen- und Sortenvielfalt richtig geschützt und bewahrt werden kann und muss, ist global nicht eindeutig zu beantworten. Es gibt vielfältige Möglichkeiten:

  •  »on farm« (auf einem bäuerlichen Betrieb),
  •  »ex situ« (außerhalb ihres Lebensraums, z.B. in Genbanken, botanischen Gärten o.ä.),
  •  »in situ« (in ihrem natürlichen Lebensraum).

Alle sind wichtig, alle haben Vor- und Nachteile. Gelebte Vielfalt, diversifizierte Strukturen, vielfältige Anbaumethoden und multifunktionelle Landwirtschaft sind sicherlich erfolgversprechende Konzepte, doch derzeit scheint dies in der industriellen Landwirtschaft Europas und Nordamerikas kaum umsetzbar.

Sollen Genbanken als Teil einer Allmende betrachtet werden, so ist entscheidend, dass das immense in öffentlichen Genbanken und botanischen Gärten gepflegte Wissen um die Vielfalt von Pflanzenarten und -sorten sowie diese selbst der Gesellschaft zugänglich bleiben bzw. werden. Auch für die Praktiker »on-farm« könnte dies eine große Entlastung sein, doch derzeit sind öffentliche Genbanken nicht auf die Bedürfnisse von Landwirten, sondern auf den Wissenschaftsbetrieb ausgerichtet. Das Wissen um die Saatgutmuster, die Genbanken bereit halten, ist gut nutzbar für biotechnologische Forschung, es steht jedoch kaum der Züchtung »on-farm« und der partizipativen Weiterentwicklung (wie im Fall der freien Software) zur Verfügung.

Die Stärkung und bessere Finanzierung der Erhaltungsarbeit »in situ« und »on-farm« muss die Unterstützung öffentlicher Genbanken zwingend begleiten. Ein praktisches (wenn auch aus der Not geborenes) Beispiel ist das Weizen-Notkomitee, welches sich im Jahr 2007 im Rahmen der 3. Europäischen Saatguttagung in Halle/Saale gebildet hat. Ursächlich war, neben der drohenden Genkontamination (s.o.), die Tatsache, dass es für Landwirte mitunter sehr schwer ist, Zugang zu Genbanken-Material zu bekommen.

»Man kann die Pflanzen nicht anschauen, es gibt kaum Informationen, wo die Sorten ursprünglich angebaut und wie sie genutzt wurden. Die Saatgutproben sind sehr klein, die Keimfähigkeit häufig schlecht, und durch die lange Aufbewahrung brauchen die Pflanzen oft Jahre, bis sie sich wieder an eine natürliche Umgebung gewöhnt haben. So heißt es in der Darstellung des Notkomitees. Ziel der Aktivisten ist es daher, »wieder regionale dezentrale Formen der lebendigen Erhaltung zu entwickeln[1]. Sie haben Weizensaatgut aus Gatersleben angefordert und bereits zweimal an mehrere Dutzend Erhaltungsanbauern versandt. Erklärtes Ziel ist neben diesem zentralen praktischen Aspekt, ein politisches Bewusstsein für die Problematik zu schaffen. Die Initiative will dazu beitragen, die Züchtung und Kontrolle von Saatgut wieder in bäuerliche Hände zu geben. Denn der Nachteil der Genbanken, nur den physischen Teil erhalten zu können und das mit dem Saatgut verknüpfte indigene oder bäuerliche Wissen vor der Tür zu lassen, ist ein gravierendes Problem, das nur durch dezentrale Anbauinitiativen »in situ« oder durch bestimmte bäuerliche Nutzung gelöst werden kann. Natürliche und kulturelle Allmende sind untrennbar miteinander verbunden. Nur wer viele Weizenarten anbaut, erntet und zuzubereiten versteht, nur wer erfährt, dass Artenvielfalt eine wesentliche Voraussetzung ist, um die Vitalität der Böden, der Lebensräume und die Anpassungsfähigkeit derselben an unterschiedliche Klimabedingungen zu sichern, wird sich auch um den Erhalt dieser Vielfalt kümmern. Vielfalt muss gelebt werden.