Forstgemeinschaften in Mexiko
Als Beispiel "zurückeroberter Gemeingüter" ein Artikel von Leticia Merino aus Wem gehört die Welt:
Gemeinschaftsbesitz und Forst prägen die ländlichen Regionen Mexikos. Circa 75 Prozent des bewaldeten Territoriums des Landes befinden sich – in Form von »Ejidos« oder »Agrargemeinschaften« – in Kollektivbesitz. Mehr als 50 Prozent davon sind Forstflächen. Die landwirtschaftlichen Flächen der Ejidos und der Agrargemeinschaften sind in Parzellen aufgeteilt, die von Einzelpersonen oder einzelnen Familien genutzt werden. Die Forstbereiche und ein Großteil der Weideflächen hingegen sind der gemeinsamen Nutzung vorbehalten, das heißt, es sind nicht parzellierte Bereiche, auf die alle Ejido-Bewohner, die »Ejidatarios«, und alle »Comuneros«, also die Bewohner dieser Gemeinden, ein Anrecht haben. Die meisten Fragen des Zugangs und der Nutzung werden in den Gemeindeversammlungen geregelt.
Die globale Umweltkrise und die steigende Wertschätzung der Umweltgüter und -dienstleistungen schaffen nun einen neuen Bezugsrahmen für die Bewertung und Kritik dieser Form des Gemeineigentums in Mexiko. Die Zerstörung der Ökosysteme und der natürlichen Ressourcen des Landes ist oft mit dem Kollektivcharakter des Landbesitzes in Verbindung gebracht worden. Wie schon im Kontext verschiedener Initiativen zur »Modernisierung« des ländlichen Sektors war die Kritik des kollektiven Besitzes stark ideologisch vorbelastet, und sie beruhte auf unzureichenden empirischen Grundlagen. Deswegen und wegen des darüber hinaus allgegenwärtigen Mangels, der Armut und der Umweltzerstörung in vielen Regionen des Landes sollte man sich weiter um einen funktionierenden Kollektivbesitz bemühen und geeignete Maßnahmen für den Schutz der Umwelt und für eine nachhaltige Entwicklung in die Wege leiten. Die Forstflächen sind dabei von besonderer Relevanz. Bei einer Analyse des Managements natürlicher Ressourcen ist die theoretische Unterscheidung zwischen dem Charakter der Ressourcen und der Art des Eigentums an diesen Ressourcen sehr wertvoll.
Der Charakter von Ressourcen bezieht sich auf zwei zentrale Kategorien: die Möglichkeit beziehungsweise Schwierigkeit, potenzielle Nutzer vom Zugang zu einem bestimmten Gut auszuschließen, und die Rivalität, die durch dessen Nutzung entsteht, also inwieweit die Nutzung durch eine Person die Nutzungsmöglichkeiten Dritter einschränkt. Diese Ausschlussmöglichkeit und die Rivalität haben viel mit dem Ressourcendruck und den konkreten Forderungen zur nachhaltigen Nutzung und zum Ressourcenerhalt zu tun. Ausgehend von den Kriterien Ausschluss und Rivalität unterscheidet die klassische Wirtschaftstheorie vier Arten von Gütern: öffentliche, private, Klubgüter und Gemeingüter. Die natürlichen Gemeingüter haben mit den öffentlichen Gütern das Problem der Ausschließbarkeit gemein, allerdings gibt es bei ersteren einen hohen Grad an Rivalität, der bei der Nutzung öffentlicher Güter nicht auftritt. Die Erhaltung der Gemeingüter und der öffentlichen Güter bringt daher Probleme bei der Bereitstellung dieser Güter mit sich; die Erhaltung der ersteren ist außerdem mit der Problematik der Aneignung verbunden.
Das sind allesamt Probleme, für deren Lösung lokale Institutionen und Regeln entwickelt und auf der Grundlage kollektiver Vereinbarungen umgesetzt werden müssen. Die Eigentumsformen hingegen beziehen sich auf den Charakter (öffentlich, privat oder kollektiv) der Subjekte, die die Eigentumsrechte innehaben. Diese werden definiert als: Recht auf Zugang, Nutzung, Entscheidung, Übertragung oder Veräußerung. Infolgedessen können verschiedene Güter (öffentliche, private, Klubgüter oder Gemeingüter) verschiedenen Eigentumsformen unterworfen sein.
Von dieser Grundüberlegung ausgehend, kann man nun die Frage stellen, welche Governance-Schemata für eine nachhaltige Nutzung und für den Erhalt der natürlichen Ressourcen geeignet sind, ohne gleich ideologisch auf eine der Eigentumsarten zu setzen. Stattdessen ist zu fragen, welche Eigentums- und Rechtsverhältnisse die Bedingungen schaffen werden, die es den sozial relevanten Akteuren gestatten, auf den Druck, dem eine spezifische Ressource ausgesetzt ist, zu reagieren und die Dilemmata des kollektiven Handelns, die für jeden Fall anders liegen, zu lösen.
Rund 75 Prozent der Forstflächen Mexikos sind Ejidos oder Eigentum von Agrargemeinschaften. Außerdem werden, wie bereits erwähnt, Wälder per Gesetz und oft auch von den Gemeinschaften selbst als »Gemeinressouren« eingestuft, was im Kontext des agrarischen Mexiko bedeutet, dass Grund und Boden gemeinschaftlich genutzt werden. Aus Sicht der TIA sind Wälder Gemeinressourcen, deren Erhalt immer schwieriger wird. Derzeit entsteht dieser Druck nicht nur durch die Bevölkerungsdichte (die in vielen Forstgegenden in Mexiko sogar zurückgeht), sondern durch die Auswirkungen der globalen Klimaveränderung und durch illegale Aktivitäten wie Holzschlag oder den Anbau illegaler Pflanzen. Für den Erhalt der Wälder muss deren Nutzung eingeschränkt werden. Zudem sind Investitionen für Schutz- und Überwachungsmaßnahmen sowie Sanktionen nötig, und es bedarf bestimmter wirtschaftlicher und technischer Voraussetzungen. Diese Aufgaben sind koordiniert und kooperativ anzugehen. Dafür ist eine starke Bürgerbeteiligung wichtig, ebenso sind es lokale Vereinbarungen, die die Zusammenarbeit zwischen Akteuren und den reibungslosen Ablauf von Prozessen, auf lokaler, nationaler, regionaler und globaler Ebene gewährleisten. Man kann schwerlich erwarten, dass der Staat oder Privatpersonen allein die Ressourcen aufbringen und den Boden dafür bereiten, all diese Erfordernisse voll zu erfüllen. Doch die Beteiligung der lokalen Gemeinschaften und die Anreize, die der Besitz von Rechten auf (Kollektiv-)Eigentum an den Wäldern erzeugt, bieten möglicherweise bedeutende Vorteile, um diesem Druck etwas entgegenzusetzen, wenngleich nicht alle Gemeinschaften die notwendigen Voraussetzungen mitbringen. Denn überall da, wo kaum Vertrauen herrscht und wo Ungleichheiten und Konflikte unüberwindlich sind, ist es schwierig, dass Gemeinschaften Projekte angehen, die eine enge Kooperation erfordern. Unter solchen Bedingungen geht dann tatsächlich Kollektivbesitz mit »offenem Zugang« und der Zerstörung der Ressourcen einher.
Der Verlust an Forstflächen schreitet in Mexiko seit Jahrzehnten voran. Bei verschiedenen Erhebungen und in der öffentlichen Debatte wird kollektiver Besitz vielfach undifferenziert mit illegalem Holzschlag und Subsistenzlandwirtschaft assoziiert; damit macht man diese für den Verlust unseres Waldreichtums verantwortlich. Die Verschlechterung des Zustands der Wälder ist jedoch ein komplexer Vorgang, bei dem mehrere Faktoren zusammenspielen. Sie führen schlussendlich dazu, dass es den lokalen Akteuren an Anreizen mangelt, sich aktiv für den Erhalt der Forstflächen zu entscheiden. In diesem Zusammenhang hat staatliche Politik eine entscheidende Rolle gespielt. Während eines Großteils des 20. Jahrhunderts hat der Staat, trotz Umverteilung der Agrarflächen, ständig die Anrechte der Ejidos und der Gemeinschaften auf die Nutzung der Wälder beschränkt oder eliminiert, indem er auf mehr als der Hälfte der Forstflächen Fällverbote verhängte und Konzessionen an Dritte vergab. Auf bewaldeten Flächen, die man damals als marginal einstufte (mesophile Wälder und Urwälder), förderte der Staat aktiv die Nutzungsänderung durch die Subventionierung von Landwirtschaft, Kaffeeanbau und Viehzucht. In den letzten 30 Jahren des vergangenen Jahrhunderts schwankte die Entwaldungsrate zwischen 4 und 6 Prozent jährlich. Bis heute gibt es Regierungsprogramme, die die Viehzucht auf Kosten von Forstflächen subventionieren. Diese Flächen werden sehr häufig für Beweidung vergeben.
In den 1980er Jahren und ab 1994 hat die Forstpolitik schließlich nach und nach die Förderung von Verfahren gemeinschaftlicher Kontrolle und Nutzung aufgenommen und eine Politik der Konzessionenvergabe eingeschränkt. Auch wenn diese Politik eher marginal war, so haben doch verschiedene Gemeinschaften die neuen Chancen genutzt, um mit der Forstwirtschaft und der Nutzung bzw. dem Schutz des Waldes eigene Erfahrungen zu sammeln. Dies gilt vor allem für indigene und Mestizenregionen sowie für Regionen mit gemäßigten Wäldern und Urwäldern. All diese Erfahrungen bauen auf den Institutionen und Organisationen auf, die aus dem Kollektiveigentum von Grund und Boden hervorgehen.
Derzeit liegen über 50 Prozent der Forstwirtschaft des Landes in der Hand von Kollektivbetrieben. Im Süden des Landes sind es Gemeinschaften von Zapoteken, Chinanteken und Mayas; im Zentrum sind es Purépechas und Ejidos von Mestizen, neben Tepehuanos und Mestizen im Norden. Sie alle schaffen Arbeitsplätze und Einkommen in einigen der marginalisiertesten Gegenden Mexikos. Mit diesen Erfahrungen geht ein hohes Maß an Ressourcenerhalt einher; diese Forste sind ähnlich effizient oder noch effizienter als viele Naturschutzgebiete des Landes. Die zentralisierte staatliche Verwaltung der Wälder hingegen war weit davon entfernt, ideal zu sein. Die Forstverwaltung durch Konzessionsvergabe hat zwar in vielen Fällen die Walddecke erhalten, sie hat aber die Zusammensetzung des Waldes zugunsten von Baumarten mit kommerziellem Wert, in diesem Fall Nadelbäume, verändert. In Gegenden, wo es verboten war, Holz zu schlagen, wurde viel Holz illegal gefällt, und das nationale System der Naturschutzgebiete, das als Conditio sine qua non für die Erhaltung vorgeschlagen worden war, ist nie systematisch evaluiert worden.
Die Geschichte der Waldpolitik in Mexiko und die Erfahrungen der letzten 20 Jahre im Umgang mit den Forstflächen und der Forstwirtschaft durch lokale Gemeinschaften zeigen, dass, wenn die Anreize stimmen, eine kollektive Verwaltung ideal für den Erhalt der Wälder ist. Die mexikanischen Forstgemeinschaften haben ihr Potenzial zur Erhaltung von Umweltgütern von globaler Bedeutung bewiesen. Trotz dieser gemeinsamen Anstrengungen müssen bedeutende Transaktionskosten in Kauf genommen und zahlreiche Dilemmata beim Aufbau der erforderlichen Beziehungen zwischen den Mitgliedern der jeweiligen Gemeinschaften überwunden werden. Das sind hohe Anforderungen. Um ihnen erfolgreich zu begegnen, müssen die gemeinschaftlichen Anstrengungen für die Nachhaltigkeit des Forstwesens gewürdigt werden. Den Problemen, mit denen die Gemeinschaften zu kämpfen haben, ist von Staat und Gesellschaft mit Verständnis und Unterstützung zu begegnen.