Fischen in der Allmende

Aus Nuevalandia
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Ein Artikel von Michael Earle aus Wem gehört die Welt:

Wer hat das Recht zu fischen? Das ist der springende Punkt der Fischereidebatte. Damit verbunden ist eine zweite, weniger offensichtliche Frage: Wer entscheidet darüber, wer das Recht zu fischen hat? Bis vor nicht allzu langer Zeit konnten Fischer ihrer Arbeit praktisch überall dort nachgehen, wo es ihnen beliebte, mit Ausnahme einer schmalen Küstenzone. Alles jenseits dieser Zone »gehörte« niemandem und war, einschließlich den Fischen, Walen und anderen Ressourcen, für jedermann frei zugänglich. Diese berühmte »Freiheit der Meere« mag für Piratengeschichten förderlich gewesen sein; doch sie war schlecht für den Naturschutz. Das wird vor allem an der tragischen Geschichte des Walfangs sehr deutlich.

Im letzten halben Jahrhundert wurde die Freiheit der Meere zunehmend dadurch beschnitten, dass viele Staaten ihre Hoheitsansprüche auf den Meeren immer mehr ausweiteten. Den Anfang machten die Vereinigten Staaten mit der Truman-Proklamation von 1945 sowie verschiedene lateinamerikanische Länder Ende der 1940er und Anfang der 1950er Jahre. Auch die sogenannten »Kabeljau-Kriege« zwischen Island und Großbritannien waren in dieser Hinsicht von Bedeutung. 1958 erklärte Island die Ausdehnung seiner Küstenregion von vier auf zwölf Seemeilen. Großbritannien sprach sich zunächst gegen die Erweiterung aus, doch erst nach mehreren bewaffneten Konfrontationen und Schiffskollisionen wurde eine Übereinkunft erzielt. Zu ähnlichen Kontroversen kam es jedes Mal, wenn Island einseitig seine Seehoheit erweiterte – 1972 auf 50 und 1975 auf 200 Seemeilen. Einen fundamentalen Dissens gab es in der Frage, ob Island das Recht habe, britische Kabeljaufischer aus diesen Gewässern fernzuhalten; die Situation war so ernst, dass die NATO involviert wurde, als Island drohte, einen wichtigen Flottenstützpunkt zu schließen. Schließlich einigte sich die internationale Gemeinschaft mit Island.

Im Ergebnis dieses Prozesses hatten die meisten Staaten bis Ende der 1970er Jahre für sich sogenannte »Ausschließliche Wirtschaftszonen« (Exclusive Economic Zones, EEZ) von 200 Seemeilen vor der Küste ausgewiesen. Die formelle Kodifizierung erfolgte durch die Unterzeichnung der Seerechtskonvention der Vereinten Nationen (United Nations Convention on the Law of the Sea, UNCLoS), die nach langen Verhandlungen 1982 angenommen wurde und 1994 in Kraft trat. Nach der UN-Seerechtskonvention gilt: Das Recht eines Staates, die Aktivitäten anderer Staaten vor seiner Küste einzuschränken, ist umso größer, je näher diese Aktivitäten seiner Küste kommen. Die Küstengewässer, über die der Staat Souveränität (einschließlich der Fischereihoheit) besitzt, erstrecken sich vom Festlandssockel über zwölf Seemeilen ins Meer. In diesem Bereich kann ein Staat Fahrzeugen anderer Länder außer der friedlichen Durchfahrt alles verbieten. Jenseits seiner Hoheitsgewässer hat ein Küstenstaat ferner das Recht, Fahrzeuge anderer Länder aus seiner Wirtschaftszone (EEZ, bis 200 Seemeilen) zu verweisen und dort Fischfang zu betreiben. Die UN-Seerechtskonvention ist jedoch auch mit Pflichten verbunden: Zum Beispiel muss eine Überfischung von Beständen verhindert werden, und mit Nachbarstaaten ist dann zu kooperieren, wenn derselbe Fischbestand in zwei aneinander grenzenden Wirtschaftszonen vorkommt.

Bisweilen rechtfertigten Staaten die so erfolgte Erweiterung der Seehoheit, um den Zugriff auf Ressourcen in »ihren« Gewässern auszudehnen, mit der Behauptung, sie würden die Fischbestände besser erhalten, als es unter der Doktrin der Freiheit der Meere der Fall gewesen sei. Da sich 90 Prozent der weltweiten Fischbestände innerhalb der 200 Seemeilen vor den Küsten befinden, war der Großteil dieser Bestände plötzlich nicht mehr allgemein zugänglich. Er unterstand nun der rechtlichen Zuständigkeit der Einzelstaaten.

Es gab allerdings einige wichtige Ausnahmen, etwa die Regelungen zu Thunfisch- und Walfang, da sich diese Arten häufig in der Hochsee aufhalten. Der nächste Schritt war die Entscheidung, wer in den nunmehr hoheitlichen Gewässern zu welchen Bedingungen fischen kann. Im Allgemeinen begann man damit, Fischfangrechte zu verleihen, indem man einzelnen Fischern oder Fischereifahrzeugen entsprechende Lizenzen ausstellte. Als klar wurde, dass der Überfischung und dem Raubbau an Fischbeständen dadurch nicht Einhalt geboten werden konnte, wurden weitere Restriktionen wie die Begrenzung von Fangmengen oder Vorschriften zu Fangausrüstungen eingeführt.

Inzwischen ist deutlich geworden, dass viele Staaten ihre Fischerei nicht besser in den Griff bekommen als zur Zeit des freien Zugangs zur Hohen See. Tatsächlich werden, global betrachtet, mehr als drei Viertel der weltweiten Fischbestände bis an die Grenze der Regenerationsfähigkeit genutzt. Viele Bestände sind bereits kollabiert. Einige Länder verhalten sich zwar besser als andere, doch das Gesamtbild und das Fazit sind ernüchternd: Die Nationalisierung der Fischereirechte hat nicht zum Schutz der Fischbestände beigetragen. Dies bringt uns zurück zur Hochsee, zu den weiten Ozeanflächen, die keiner einzelstaatlichen Rechtsprechung unterliegen. Auch dort herrscht keine völlige Handlungsfreiheit. Fahrzeuge auf hoher See unterstehen der Autorität des Staates, unter dessen Flagge sie fahren; so bestimmt beispielsweise Kanada darüber, was kanadische Fahrzeuge tun oder nicht tun dürfen. Von zahlreichen Ländern werden jedoch ihre Pflichten als Flaggenstaaten nicht erfüllt; die berüchtigtsten Beispiele sind die sogenannten »Billigflaggen«.

Schon vor der Ausarbeitung der UN-Seerechtskonvention bildeten einzelne Staaten internationale Organisationen zum Fischerei-Management; die erste entstand 1923 für die Heilbuttfischerei im Nordpazifik, einige weitere nach dem Zweiten Weltkrieg, hauptsächlich zum Wal- und Thunfischfang. Da das Seerecht für die Hochseefischerei die Kooperation der Staaten vorschreibt, wurden im Laufe der 1980er Jahre mehrere weitere Organisationen ins Leben gerufen. Ihre Zahl wächst weiter. Diese regionalen Fischereiorganisationen führen Regeln ein, um den Fischfang auf verschiedenen Wegen zu begrenzen, hauptsächlich mit Hilfe von Fangquoten und Einschränkungen bei den Fangausrüstungen, gelegentlich auch durch eine Begrenzung der Anzahl der Fangfahrzeuge. Auf diese Weise versuchen die Staaten, international dieselben Reglements durchzusetzen, die sie in ihren eigenen Gewässern anwenden, um Überfischung zu verhindern. Jedoch finden solche Regelungen nur auf Fangfahrzeuge aus Ländern Anwendung, die der jeweiligen Organisation beigetreten sind, während die Schiffe anderer Länder im Wesentlichen nach wie vor die Freiheit der Hohen See genießen. Daraus ergibt sich für den Schutz von Fischbeständen ein enormes Problem, das an anderer Stelle zu diskutieren ist. Abgesehen von einigen Ausnahmen hat sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene die einfache Begrenzung der Zahl derer, die fischen dürfen – häufig verbunden mit Restriktionen der Fangmenge –, weder die Fischbestände geschützt noch das Auskommen der Fischer in den Küstenregionen gesichert. Also wurde nach einer weiteren Maßnahme gesucht; das Ergebnis war die Privatisierung der Fischbestände selbst.

Anfang der 1980er Jahre begann Neuseeland damit, Rechte an spezifischen Fischquoten in neuseeländischen Gewässern an Personen oder Unternehmen zu vergeben. Normalerweise werden diese Quoten in einem fixen Prozentsatz der Gesamtquote ausgedrückt, so dass die Fischmenge je nach Größe der Gesamtquote unterschiedlich sein kann. Manchmal können diese Rechte gehandelt oder verkauft werden, mit der Folge, dass Personen Rechte über signifikante Anteile an der Gesamtquote ansammeln können. Solche Entwicklungen der – behördlich geförderten – Privatisierung von etwas, das als Gemeinressource zu betrachten ist, sind bei den Fischern auf starken Widerstand gestoßen – ausgenommen bei jenen, die davon profitieren! Doch auch diese Debatte sprengt den hier zur Verfügung stehenden Rahmen. In eine ähnliche Richtung gehen auch regionale Organisationen. In Fällen, in denen für bestimmte Arten wie etwa Thunfisch Quoten eingerichtet werden, können Teile dieser Quoten an einzelne Staaten vergeben werden. Die Verteilung basiert normalerweise auf historisch belegten Fangmengen2, also bereits erzielten Fangmengen, nicht unbedingt auf Kategorien von Nachhaltigkeit. Demgemäß wird Ländern, die bislang viel gefischt haben, zugestanden, auch künftig viel zu fischen. Abgesehen davon, dass dadurch tendenziell Länder belohnt werden, die zur Überfischung beigetragen haben, behindert dies den Zugang für solche Staaten, die mit dem Fischfang beginnen wollen. Theoretisch haben letztere dasselbe Recht wie andere, in der Allmende zu fischen. Viele dieser ehrgeizigen Neulinge sind Entwicklungsländer. Der Versuch, ihren Wunsch nach Ausbau ihrer Fischerei zu erfüllen, führte bisweilen zu beträchtlichen Reibungen.

Die eingangs gestellte Frage ist also folgendermaßen zu beantworten: Die Staaten haben sich durch Schaffung Ausschließlicher Wirtschaftszonen (EEZ) und deren Reservierung für die eigenen Fischer oder den Verkauf von Fischereirechten an Fischer anderer Länder selbst das Recht gegeben zu entscheiden, wer fischen darf und wer nicht. In einigen Fällen haben sie dieses Recht dann an Personen oder große Unternehmen vergeben oder verkauft.

Dass alle diese Maßnahmen gescheitert sind, hat viele Gründe; ein wichtiger Faktor ist jedoch der globale Aspekt der modernen Fischerei. Das Gemeingut – hier der Ozean und die weltweit verfügbaren Fischbestände – ist global. Aber jeder will es nutzen, lokale Fischer ebenso wie nationale Fischfangindustrien und multinationale Unternehmen. Im internationalen Handel spielt Fisch eine größere Rolle als jedes andere Nahrungsmittel. Das Kapital hinter den Fischereiunternehmen ist auch global, ebenso wie die wichtigsten Produktionsmittel, da sich Fischereifahrzeuge regelmäßig monatelang von einem Ozean zum anderen bewegen. Wahrscheinlich und trotz aller Regulierungsversuche wird an den Fischbeständen auch weiterhin Raubbau betrieben. Doch selbst wenn es unmöglich erscheint, sich auf ein Programm zum Management des globalen Fischfangs zu einigen und ein solches zu implementieren, bleiben die Prinzipien dieses Managements dennoch unumstößlich: Wenn wir weiterhin in der Allmende fischen wollen, muss das Fischereimanagement auf einer kooperativen und globalen Basis operieren sowie auf den Prinzipien der Nachhaltigkeit beruhen, um die Fischbestände für die Allgemeinheit zu erhalten. Also eine Gemeingüter-Verwaltung.